Ein Haufen Fotos

Tagtäglich diese Fülle. Hunderte, tausende Gruppen, Facebook hier, Instagram dort, Zeitschriftenportale, Fotografen noch und nöcher. Ständig unterwegs, digital gerüstet, so können Terabytes an Fotos eingestellt, betrachtet und bewertet werden. Tagtäglich.

 

Nach einiger Zeit in diese Mühle hineingeraten, müsste man irgendwann an den Punkt gelangen und auch den Moment des Reflektierens finden, die Fotografie und öffentlichen Auswüchse an sich zu bewerten und nicht nur die abermillionen Fotos mal schnell mit dem Smartphone betrachten. Facebook, Instagram und Co. haben es wohl geschafft, die Fotografie zu einem Massenmedium zu wandeln, die Digitalisierung tut ihres dazu. Wo sonst kann man sich einer Gruppe anschließen, die schnell zu tausenden Mitgliedern heranwächst und man sein täglich Futter an Fotos sichtet und liket.

 

Wie verläuft da zum Beispiel mein persönlicher Tag? In der Zeit, in der ich mir meine Brötchen verdiene, beschleicht sich mir schon gedanklich der Eindruck, hunderte supertolle Fotos verpasst zu haben. Verbringe ich meine Pausen zu Tisch, kann ich endlich einen Blick in die Gruppe(n) werfen, wobei Facebook so nett ist, beliebte Fotos in der Timeline auch schön oben zu behalten, damit ich sie hoher Wahrscheinlichkeit nach nicht zu verpassen. Doch kann man ebenso einen falschen Zeitpunkt erwischen, in dem ein gutes Foto beim Einstellen durch die Reihen nach unten rutscht und man die schon für gut befundenen Beispiele wieder und wieder sieht. Man muss also tatsächlich den richtigen Moment abpassen, damit ein gutes Bild die "Nadelöhrphase" gut übersteht und in den Status eines sehr beliebten übergehen kann. Beispielsweise sollte man den Alltagsablauf seiner Fotokollegen gut kennen. Zu deren Feierabend Fotos zu posten kann deren Aufmerksamkeit entgehen, wenn sie gerade im Auto sitzen, um den Heimweg anzutreten. Zu den Stoßzeiten bringt es dann viel mehr, wenn sie etwa auf der Couch in Entspannungsphasen ihren Newsfeed durchstöbern.

 

Ein weiterer Stolperstein kann neben der Masse auch die Klasse der Fotos sein. Die Reichweite geht hierbei vom schnellen Schnappschuss bis hin zum absoluten Hingucker, wobei erste eher dazu eignen, überscrollt zu werden. Wenn der/die Einstellende das Wetter draußen vom Wohnzimmer aus knipsen möchte, aber nur ein schräges, unscharfes Foto mit dem Handy schießt und dabei dem Fensterrahmen mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem Wetter draußen, dann frage ich mich leider doch, wie die Person "Fotografie" für sich definiert hat. Wir sind eben nicht in der Selfieecke, wo Schnappschüsse und lapidare Szenenbeschreibungen zum Alltag gehören.

 

Siebt man diese aus, bleibt eine große Mehrheit bestehen, die viele Aspekte nach ihren eigenen Vorstellungen auslegt. Und doch kristallisieren sich schnell Favoriten heraus, die im Grunde jede Detaildiskussion im Keim ersticken. Demnach emotionalisiert sich der Reaktionsablauf im Gehirn der User ganz schnell: welches Themengebiet mag ich? Bearbeite ich oder nicht? Welchen Stil bei der Bearbeitung mag ich? Wie sollte für mich die Bildkomposition aussehen? Also wische ich auf meinem Smartphone je nach verfügbarer Zeit durch den Newsfeed, blicke kurz auf die Posts, bewerte diese im Schnellmodus, gebe oder gebe kein Like/Herz/etc.

 

Nun vermisse ich dadurch die Zeit, die man sich etwa auf einer Vernissage nehmen würde, sich die Fotos länger anzusehen, die eigenen Gedanken in die Motive einfließen zu lassen und Bedeutungen zu ergründen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die sozialen Medien eine solche Exklusivität kaum zulässt. Gegenargument wäre, dass Landschaftsfotos weniger zum Interpretieren einladen, sondern nur eine Momentaufnahme sind und vielleicht noch unter technischen Aspekten betrachtet werden. Tiefere Bedeutungen muss man da nicht ergründen, viele Daumenentscheidungen sind schnell getroffen und entsprechend ausgeführt (oder eben nicht).

 

Selbstredend sind solche Entwicklungen wie die Digitalisierung von Kunst gut wie schlecht zu bewerten. Man erhält eher den Zugriff darauf - "Kunst für alle!", schreit es durch die Netzwerke, man muss nur kurz sein Interesse daran bekunden. Jedoch schraubt sich die Kunst durch die schiere Masse an Veröffentlichungen zu einem Niveau empor, das keine Fehler mehr verzeiht. Das Spektrum wurde erhöht, die Ansprüche sind dagegen gestiegen und verschieben die Grenzen zwischen guten, annehmbaren und schlechten Bildern, bei denen der frühere Exklusivfaktor zwar aufgeweicht, jedoch nur umgeleitet, umgeformt wurde. Da hilft auch die allgemeine Zugänglichkeit durch die sozialen Medien nichts...

Kommentar schreiben

Kommentare: 0